| von Peter Cardorff "Erotischer Realismus" | |
| Lieben heißt eine
Wette eingehen (auf Gegenliebe setzen oder auf Liebesglück),
deren Einsatz der Liebende in Gefühlen leistet – seinen eigenen. Zu
den Eigeneren der Liebeswette gehört, dass bereits der Minimaleinsatz so
beträchtlich ist, dass der Verlust niemals schmerzlos abgehen kann.
Dennoch ist das Risiko, durch einen großen Verlust in dem Vermögen,
weitere Wetten abzuschließen, nachhaltig geschädigt zu werden, nicht
ganz so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte: weil nämlich
Gefühle, als Abstraktum, zu jener Sorte Spielkapital gehören, die
organisch nachwachsen können. Ein regeneriertes Spielkapital erlaubt es
dem Wetter nicht, einen einmal erlittenen Verlust ungeschehen zu machen
– zweimal auf dasselbe Ereignis zu setzen oder noch einmal mit dem
bereits verlorenen Spielkapital zu wetten ist nicht möglich -, doch
versetzt es ihn in die Lage, neue Wetten abschließen und sich auf diese
Weise neue Gewinnchancen zu eröffnen. Ein
günstiges Klima für seine Wettakte verschafft ein Kandidat sich, indem
er sich als ein guter Verlierer erweist, gegebenenfalls – was noch
schwieriger ist -, auch als ein guter Gewinner, und die folgenden Punkte
berücksichtigt: 1.
Wenn ich eine Wette abschließe (eine Wette, sagen wir, darauf, das
es wird mit der Liebe zwischen mir und X) und ich verliere die Wette, dann kann ich nicht gut erwarten,
dass ich meinen Wetteinsatz (in diesem Fall: meine Gefühle unversehrt)
zurückerhalte. 2.
Wenn man eine Wette eingeht, und das Ereignis, auf dessen Eintreten
man gesetzt hat, bleibt aus, so ist damit der Sinn der getätigten Wette
dementiert – nur die Bedingungen für den nächsten Wettakt sind andere
als im Gewinnfall. 3.
Wer auf Liebe setzt und trifft, hat damit auch schon auf Glück
gesetzt und getroffen und nicht außerdem noch auf die Erringung (oder
Wahrung) seiner Freiheit und Persönlichkeitsverwirklichung gewettet und
gewonnen. Liebe, Glück und Freiheit sind drei verschiedene Ereignisse.
Daher muss, wer alle drei zusammen haben will, drei verschiedene Wettakte
eingehen oder vielmehr eine sogenannte Verbindungs- oder Schiebewette
abschließen, dass heißt er muss sich einer Wettart bedienen, bei der die
gesamte Wette verloren ist, wenn eines der gewetteten Ereignisse nicht
eintrifft, und die Gewinnchance sich durch Multiplikation der Einzelkurse
errechnet. (Z.B. Ich liebe X. Die Chance, das ich in der Liebe zu ihm mein
Glück finde ist 1:6 , die Chance, das ich in der Liebe zu ihm meine
Freiheit verwirklichen kann ist 1:8 -
ergibt eine Chance von 1: 192, dass ich Glück, Freiheit und Gegenliebe in
meiner Liebe zu X finde) 4. Wenn zwei Menschen eine Wette abschließen (zwei Liebende jeweils auf die Gegenliebe des anderen setzen), dann treffen sie nicht als Gegner aufeinander, sondern jeder der Wetter steht der Front alles möglichen Ereignisse gegenüber minus dem Einen, auf dessen Eintreten er gesetzt hat.
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| Warum
Gefühlszeitverträge sittenwidrig sind Ungemein brutalitätsförderlich ist das Missverständnis darüber, in welchen Punkten Vereinbarungen, insbesondere zwischen Einander - Liebenden, überhaupt möglich sind. Diverse Sprachwendungen haben daran ihren gehörigen Anteil. Die Rede vom Gefühlvertrag z.B. ist deshalb so gefährlich, weil weder Gefühle selbst noch die Fühlende über ihre Gefühle miteinander Verträge abschließen können. Gefühle sind überhaupt keine Leistung , die Vertragsgegenstand sein Könne – es Gibt aber auch kein Liebesverhältnis, das nicht ein Vertragsverhältnis wäre. Für
den Charakter eines Liebesverhältnisses entscheidend ist, wie die Partner
zu jener Differenz stehen, die in folgender Bestimmung sich auftut: Ein Liebesverhältnis ist faktisch eine
Rechtsetzungsgemeinschaft, deren Vertragsgegenstand nicht die Liebe ist,
sondern der Umgang der Liebenden miteinander – mit der besonderen
Eigenart, das sowohl der Vertrag als auch die Gemeinschaft jederzeit und
einseitig kündbar ist. Auf
Zeit ist, was die Liebe selbst betrifft, gar nichts vereinbar, auch nicht
durch das Eingehen einer Beziehung oder Ehe nicht. ( Beziehungen und Ehe
sind Sexualitäts-, Güter-, Emotions- oder
Kinderbetreuungsgemeinschaften, für die nicht die Liebe konstitutiv ist,
sondern Bestandssicherungsversprechen bzw. –garantien – die aber
richten sich auf den Erhalt nicht der Liebe sondern des gemeinsam gegründeten
Institutes) Zwei Sätze gehen
zusammen: a)
das eine Liebe selten vom Himmel fällt, dass sie gezüchtet werden
kann, auf allerart Autosuggestionen und Bestechungsversuche anspricht und
in den meisten Fällen auch nicht durch einen Blitzschlag und einen Rückzug
ohne Vorwarnung endet als vielmehr ausläuft oder verödet wird ;
b)
dass von Liebe nicht gut die Rede sein kann, wo ein Verhältnis das
Risiko einer jederzeitigen einseitigen Kündbarkeit nicht umschließt –
und schon das Verlangen von Garantien ( in Sachen Liebe, nicht in
Angelegenheiten z.B. Hausstandsabwicklung) als eine Beihilfe zu jenem
Betrug zu werten wäre, dessen Ausführung ihr Gewährten ist. Das Liebesversprechen , auf der anderen Seite, der Glaube, einen Anspruch auf Liebe des Anderen zu besitzen, und die Enttäuschung, um diesen Anspruch geprellt zu sein, gehören zu den Basiselementen einer Brutalität, die sich in ihrem Kern gegen die Souveränität des Individuums richtet. Auch unter vollem Respekt vor dieser kann ein Mensch freilich verletzend handeln – ganz einfach durch einem bestimmten Gebrauch seiner Freiheit, z.B. die Wahl grobianischer Formen, die Liebe von einem Anderen abzuziehen, In dieser Richtung brutal zu sein fällt den Teilhabern eines Liebesverhältnisse um so leichter, als die Liebe als eine Extremform von Phantomisierung, zumal in ihren Anfängen, eine Wahrnehmungsweise des Anderen (in diesem Fall des für den Geliebtenstatus Kandidierenden) ist, die sich ausgezeichnet dazu eignet, ein komplettes Desinteresse an dessen Person zu verdecken - wie es dem anderen geht, wenn das Phantom platzt, die Liebe kaputt ist, mag für den abziehenden Liebhaber gänzlich irrelevant sein. Das Risiko, solchen Wüstlingstum ausgesetzt zu sein, ist für die Liebe mitkonstitutiv. (Mehr als ein abfedern kann es auch ein Kandidat nicht, der von Anbeginn altehrwürdige Ratschläge befolgt, z.B.: “Bevor du dich auf jemanden einlässt, prüfe, wie er sich Leuten gegenüber verhält, von denen er sich trennt...“ oder in einer sozialen Gruppe agiert, in der es so strenge Kriterien für unehrenhaftes Verhalten in dieser Frage gibt, dass ein Brutalo mit Sanktionen zu rechnen hätte.) Um so bedenkenswerter, als regulative Idee, wäre deshalb ein è Liebeshärtefonds Vorschlag
für die Einführung eines Liebeshärtefonds zwecks Förderung der
sozialen Liebesgerechtigkeit - Die Botschaft töne etwa so: Sie sind auf Humanisierung des sozialen Liebeswerkens bedacht – nicht auf seine Bezähmung, soziale Reglementierung oder Risikoenthebung, sondern auf die Entwicklung weniger leidträchtiger Liebesweisen? Sie wollen die Härten mildern, die nicht in erster Linie der Sache geschuldet sind, sondern der Unachtsamkeit und Grobschlächtigkeit Ihrer Mitliebenden? Sie haben sich schon immer anständig verhalten, ohne dass man ihnen deshalb Gutes mit Gutem vergolten hätte? Dann sind sie bei uns an der Richtigen Adresse. Wir, die Erste Liebesfeuerkasse, humanisieren das Liebesleben. Unsere Philosophie: Wer liebt zahlt – nach dem Selbstdeklarierungsprinzip. Der Beitragssatz richtet sich Ihrer Liebespraktik: Herzensbrecher zahlen einen achtfachen Satz, Abseitsfallenspezialisten und Lockvögel das vierfache, Lackaffen doppelt, notorische Loser und Underdogs die Hälfte des Normalsatzes. Unsere Leistungen: Liebeskranke und Verwundete erhalten Beihilfen zu den Heilungskosten und Schmerzmitteln (inkl. der homöopathischen Arzneien aller Kulturdisziplinen). Wir helfen Ihnen auf diese Weise Härten zu bewältigen, denen Sie bislang ausschließlich durch Eigenmittel, in Selbstorganisation, durch Freunde (habe Sie welche?) und Krankenkassenleistungen entgegentreten mussten. Beteiligen auch sie sich am freiwilligen Sozialausgleich für erlittene Liebestuntaten! Fördern Sie den Solidargedanken im Liebesvolk! Ihre Gefühlswerkstatt wird es Ihnen danken! ENDE DES WERBEBLOCKES!
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| Humanismus und
Terror. Wenn ich einen Menschen liebe, und er mich wieder, dann hat er die Rolle als Träger jenes Phantoms angenommen, das ich geschaffen habe, und ist die Verpflichtung eingegangen, die Rolle des Phantomträgers gut zu geben, so wie auch ich umgekehrt mich verpflichtet habe, und hat zu keinem Zeitpunkt das Recht, mir die Schuld an seinem Engagement zuzuweisen, sehr wohl aber das Recht, jederzeit seine tragende Rolle zu kündigen, was mir, wenn er es tut, die Wahl zwischen genau zwei Optionen gibt: Terrorrist-Sein oder Humannist-Sein. Terrorist ist, wer den Anderen auf die Rolle, sein Geliebter zu sein, verpflichtet sieht und seine Forderungen zum Ausdruck bringt, indem er ihn mit Vorwürfen überzieht und moralisch denunziert, um ihn in die Rolle zurückzupressen oder ihm anderweitig das Leben schwer zu machen. (Im Terrorismus, können wir sagen, läuft der Allmachtswahn des Liebenden auf eine Weise Amok, die ihn als einen kleinen miesen Schöpfergott ausweist.) Humanist ist, wer sich als Schöpfergott selbst vernichtet, von jedem Anspruch gegenüber dem Anderen abdankt, auf das Recht verzichtet, beleidigt zu sein... und auf diese Weise, ganz nebenbei, sich selbst freisetzt zur Möglichkeit einer liebesgöttlichen Wiedergeburt, was immer gut bei Chance steht, weil – wo es um die Schaffung von Geliebtren geht, ist so viel Stoff vorhanden, dass er selbst einem Potenzwunder an Göttlichkeit niemals ausgehen kann.
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